Hundert Stunden habe ich gebraucht, um das Open-World-Meisterwerk Horizon Forbidden West nicht nur zu beenden, sondern komplett zu platinieren. So sehr haben mich die wunderschöne Spielwelt, die Geschichte voller spannender Wendungen und Sci-Fiction-Wendungen, die unfassbar spaßigen Kämpfe und nicht zuletzt die zahlreichen interessanten und diversen Charaktere im „verbotenen Westen“ gefesselt. Um letztere soll es im folgenden Artikel gehen. Denn auch wenn die Themen Inklusion und Diversität sich zum Glück langsam immer mehr im Videospielkosmos etablieren, ist es in dem Umfang und der Qualität, mit der Guerrilla Games sich diesen Aspekten angenommen hat, noch keine Selbstverständlichkeit und somit eins der besten und gelungensten Dinge in Forbidden West.
Doch warum ist ausgerechnet dieser Playstation Exklusiv-Titel, eine Fortsetzung zum bereits sehr erfolgreichen Horizon Zero Dawn von 2017, so ein gutes Beispiel für gelungene Diversität und Inklusion in Videospielen? Was macht es wo genau richtig und wo setzt es ganz neue Maßstäbe? Diesen Fragen möchte ich in den nächsten Zeilen auf den Grund gehen.
Bemerkenswerte Beispiele beim diversen Charakterdesign
Schon nach dem ersten Prolog-Gebiet, welches einen guten Vorgeschmack auf die schiere Größe der Forbidden West-Spielwelt bietet, bemerkt man, wie vorbildlich und selbstverständlich Guerilla Games Charaktere jeglichen Geschlechts und Hautfarbe in die Spielwelt integriert. Ohne jegliche Klischees oder Stereotype, die leider zu oft in der Vergangenheit in Videospielen zu finden waren, trifft man hier auf Auftraggeber, NPCs, Händler und wichtige Haupt- und Nebenquest-Figuren, die wirklich den Eindruck wecken, echten Menschen nachempfunden worden zu sein. People of Color werden hier divers und ohne jegliche stereotypischen Körper- oder Charakter-Merkmale dargestellt. Man sieht NPCs dunkler und heller Hautfarbe, scheinbar asiatischer, europäischer oder afrikanischer Herkunft gemeinsam in dieser post-post-apokalyptischen Welt leben und ihr Tagewerk verrichten.
Als Aloy interagieren wir auch aktiv mit all diesen Charakteren und bemerken schnell, wie echt, gutgeschrieben und lebendig sich jeder von ihnen anfühlt. Keiner, egal ob langjähriger Weggefährte von Aloy oder ein vorbeiziehender Maschinenjäger, der unsere Hilfe braucht, fühlt sich wie ein Abziehbild ohne Persönlichkeit oder eine Kopie bestehender anderer NPCs an. Denn die Immersion in Horzon Forbidden West spürt man mit jeder Minute und das vor allem durch die lebendige und diverse Spielwelt voller einzigartiger Figuren. Diese wirken auch dadurch spielintern so realistisch modelliert, glaubhaft und einfach interessant, weil sie nicht bloß eine leere „repräsentative Quoten-Funktion“ im Spiel erfüllen und ansonsten ersetzbar sind, sondern eine feste, oft tragende Rolle in Aloys Abenteuer haben, die ein aufs andere Mal nachhaltig in Erinnerung bleibt.
Dass es keine leichte Aufgabe ist, dieses Maß an gelungener, moderner Repräsentation und Inklusion diverser Gruppen zu erreichen, wird mangels herausragender Beispiele in der Vergangenheit schnell klar. Einen großen Vorteil hatte Horizon Forbidden West hier aber von Anfang an. Eine komplett neue Spielwelt samt Hintergrund-Lore. Unbegrenzte Möglichkeiten, um eine völlig neue Marke und eine neue Welt zu erschaffen. Keine Film- oder Buchvorlage, kein alter Serienteil, der zum Remake verwurschtelt wurde. Ein unbeschriebenes Blatt Papier und viel Kreativität und Mut. Nichts anderes hatten Guerilla Games, als sie in den 2010er die Arbeit am ersten Horizon-Spiel aufnahmen. Dass es sich gelohnt hat, zeigen auch zahlreiche Fans auf den sozialen Medien, die von dieser qualitativ hochwertigen Repräsentation sichtbar gerührt und angetan sind.
So konnten die Entwickler eine Open-World kreieren, die ganz ihren Vorstellungen und Visionen entsprach. Eine Spielwelt, in einer neuen Zukunft nach dem apokalyptischen Ende der Zivilisation, in der sich die neu entsprungene Generation an Menschen ohne Zwänge und Vorurteile und das Wissen um die Vergangenheit der alten Welt zusammentut und neue Gemeinschaften nach neuen Regeln und Gesetzen aufbaut. Wie gemacht also, um Diversität und Inklusion voranzubringen, denn so ist es gleichzeitig auch in der spielinternen Logik und Geschichte am realistischsten und glaubwürdigsten. Denn die diversen Charaktere in Forbidden West sind in der gesamten Spielwelt in allen Stämmen, allen Regionen und jeglichen Klassen und Gruppierungen anzufinden, ganz gleich welche Hautfarbe oder ethnische Merkmale sie haben bzw. nach welchen wir Spieler sie wahrnehmen. Uns bekannte Vorurteile und überholte Stereotypen existieren hier faktisch nicht und werden zu keinem Zeitpunkt suggeriert oder gar bedient. Mehr als erfrischend und wichtig! Doch natürlich ist die Menschheit auf dem von Maschinen verwüsteten Planeten eine sehr zersplitterte und tribalistische, die somit nicht frei von internen Konflikten, Anfeindungen und Vorurteilen ist. Doch wie bereits erwähnt, passiert das alles innerhalb der vom Spiel und der Hintergrundgeschichte aufgesetzten Grenzen und Regeln.